Anforderungen an neue Lernkonzepte
Herausforderungen an kleine und mittlere Unternehmen
Klein und Mittelunternehmen (KMU) sind aufgrund des Strukturwandels einem hohen Veränderungsdruck ausgesetzt. Einerseits müssen sie flexibel auf die Entwicklungen des Marktes reagieren bzw. möglichst schnell Trends erkennen. Dazu gehört u. a.: neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, neue Märkte zu erschliessen, mit Unternehmen zu konkurrieren, virtuelle Organisations-, Arbeits- und Lernstrukturen einzuführen. Andererseits müssen sie ihren Mitarbeitern eine gewisse soziale Sicherheit hinsichtlich der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bieten, um gerade die qualifizierten Mitarbeiter im Unternehmen zu halten.
Eine Voraussetzung zur Bewältigung dieser Herausforderungen ist, dass Führungskräfte wie Mitarbeiter in Veränderungsprozessen eine unternehmerische wie individuelle Entwicklungs- und Lernchance sehen.
Für den einzelnen Mitarbeiter bedeutet das:
- regelmäßig zu lernen, vor allem am Arbeitsplatz,
- den Qualifizierungsbedarf selbst zu erkennen,
- Qualifizierungsmöglichkeiten selbst zu suchen sowie
- die Beratung durch (Bildungsberater, Coachs, Personalentwickler, Bildungsanbieter) eigeninitiativ in Anspruch zu nehmen
Auf Seiten der Unternehmen heißt das:
- die Entwicklung der Unternehmensstrukturen mit der Personalentwicklung abzustimmen, indem stärker die Besonderheiten der Mitarbeiter hervorgehoben und für die Unternehmensentwicklung genutzt werden,
- weg von einem „Pauschal-Bildungsprogramm“ und hin zu einer individuellen Personalentwicklung
- Schaffung von Rahmenbedingungen, die das Lernen am Arbeitsplatz (Aufbau von Lerninfrastrukturen am Arbeitsplatz) sowie selbstgesteuertes Lernen ermöglichen.
Anforderungen an neue LernkonzepteDiesen Entwicklungen und Herausforderungen erfordern neue Formen des Lernens, deren Kennzeichen sind: die Realisierung von komplexen Lehr-/ Lernarrangements mit praxisnahen Problemstellungen, die Ermöglichung der Selbststeuerung und Selbstorganisation des Lernens, eine stärkere Berücksichtigung des Lernens in Gruppen, die Sicherung des Transfers durch Anwendung der angeeigneten Fähigkeiten in anderen Lern- und Handlungskontexten und letztlich die Evaluation und Reflexion der Lernprozesse. Insbesondere gewinnen solche Lehr-/Lernformen an Bedeutung, bei denen der Ansatz des selbstorganisierten, selbstgesteuerten Lernens im Mittelpunkt steht. Damit findet ein Wechsel von der Angebotsorientierung zur individuellen Nachfrageorientierung statt. Die traditionelle Didaktik dagegen ging noch von homogenen Zielgruppen, von ähnlichen Lernvoraussetzungen und gemeinsamen Lernergebnissen aus und war somit an einer Vereinheitlichung des Lernprozesses interessiert. Der Konstruktivismus betont im Gegensatz dazu mehr den individuellen Erfahrungshintergrund. Wissen lässt sich aus einer konstruktivistischen Sichtweise heraus nicht ”vermitteln”, sondern ist in konkreten Situationen aus der eigenen Erfahrung heraus aufzubauen (zu konstruieren), denn nur selbst aufgebautes und in die eigenen Strukturen integriertes Wissen ist richtig verstandenes Wissen. Damit ändert sich grundlegend die Rolle von Lehrenden und Lernenden. Die Lehrenden schaffen die Bedingungen für die Selbstorganisation der Lernenden. Konstruktivistische Lerntheorien zielen somit auf das fall- und problembezogene Lernen in realen Situationen.
Die Entwicklung der Stärken
Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Entwicklungen erhält somit die berufliche Bildung eine neue, zusätzliche Ausrichtung. Sie muss die Mitarbeiter auf Wechsel und Veränderungen vorbereiten und sie bei der Entwicklung von beruflicher Orientierung unterstützen. Aufgabe der beruflichen Aus- und Weiterbildung bzw. der Personalentwicklung ist es, die Kompetenzen unter Einbeziehung des Arbeitsprozesses zu entdecken und zu fördern. Kompetenzen sind mehr als durch Berufsabschluss erworbene Qualifikation. Unter Kompetenzen sind Fähigkeiten, Fertigkeiten, Methoden, Wissen, Erfahrungen, Einstellungen, Bedürfnisse und Werte zu verstehen, die ein Mensch in seinem Leben erwirbt, entwickelt und verwendet. Sie sind an das Individuum und seine Befähigung zu eigenverantwortlichem Handeln gebunden. Kompetenzen werden von zwei Seiten her bestimmt: von der Situation (Anforderungsseite) und der Person (persönliche Ressourcen). Es lassen sich somit Kern- und Veränderungskompetenz unterscheiden. Mit Kernkompetenzen werden die persönlichen Ressourcen eines Individuums bezeichnet. Darunter sind Fähigkeiten und Fertigkeiten zu verstehen, die von einem Individuum im besonderen Maße beherrscht und in unverwechselbarer Weise angewendet werden. Die Kernkompetenzen haben für die Beschäftigten drei wichtige Funktionen:
- Sie geben Orientierung: Das Wissen um die eigene Stärke und deren Erleben in unterschiedlichen (Berufs-)Lebenssituationen wird zum Motor der beruflichen Entwicklung.
- Sie stellen Kontinuität her: Die Kernkompetenzen behält das Individuum, unabhängig davon, welche Berufstätigkeit es ausübt und wo es arbeitet.
- Sie begründet Fachqualifikationen: Eine Kernkompetenz kann nur in einem bestimmten fachlichen Kontext angewendet werden. Zu ihrer Anwendung sind daher zugleich auch Fachqualifikationen erforderlich.
Kernkompetenzen in Kombination mit einer bestimmten Fachqualifikation allein reichen daher für die Ausübung von Berufstätigkeiten nicht aus. Sie müssen vielmehr ergänzt werden durch Veränderungskompetenz. Damit ist die Bereitschaft und Fähigkeit gemeint, auf die unterschiedlichen und wechselnden qualifikatorischen Anforderungen einzugehen und diese im Hinblick auf die eigene Biografie verarbeiten zu können. Die Veränderungskompetenz kann auf drei Ebenen angewendet werden: auf der sozialen, institutionell-organisatorischen und fachlichen Ebene. Die soziale Ebene bezieht sich auf die Interaktionsprozesse und meint die Fähigkeit, in immer wieder neuen und wechselnden Situationen mit fremden Personen innerhalb und außerhalb des Unternehmens – z.B. mit Kunden – in Kontakt treten und kommunizieren zu können. Auf der organisatorischen Ebene geht es um die Fähigkeit, sich in einer Organisation (Unternehmen) selbstbewusst zu bewegen. Dazu gehört u.a. das jeweilige Werte- und Normensystem zu erkennen und sie mit den bisherigen Erfahrungen abzugleichen und zu bewerten. Veränderungskompetenz auf der fachlichen Ebene meint schließlich die Fähigkeit, das in einem ganz bestimmten Kontext erworbene fachliche Wissen und Können auch in anderen bzw. wechselnden Arbeitssituationen anwenden zu können.
Entwicklung von Erfahrungsräumen
Didaktische Aspekte zum Kompetenzerwerb
Veränderungskompetenz kann am besten in Bezug auf bestimmte Situationen erworben werden. Den Mitarbeitern müssen daher in der beruflichen Weiterbildung sowie im Arbeitsprozess entsprechende Erfahrungsräume zum Erwerb von Veränderungskompetenz angeboten werden. Unter Erfahrungsräumen werden hier reale soziale Situationen verstanden, die in fachlicher und räumlich-sozialer Hinsicht neu und fremd für die Mitarbeiter sind und für diese daher eine Lernherausforderung darstellen. Erfahrungsräume können außerhalb und innerhalb des Betriebes gefunden bzw. gestaltet werden. So einen Erfahrungsraum außerhalb eines Unternehmens stellt der zeitlich begrenzte standortferne Tätigkeitseinsatz dar. Die Mitarbeiter werden für etwa sechs bis acht Wochen in einer Niederlassung, an einem Montageort oder in einer kooperierenden Partnerfirma eingesetzt. Sie müssen so lernen, ihr privates wie berufliches Leben selber zu organisieren und sich auf neue Tätigkeitsanforderungen und neue Arbeitskollegen einzustellen. Eine weitergehende Möglichkeit ist der Tätigkeitseinsatz im Ausland. Veränderungskompetenz wird hier erweitert um interkulturelle Kompetenz. Aber auch innerhalb eines Betriebes gibt es eine Vielzahl von Erfahrungsräumen, wie Abteilungsdurchlauf und Ausbildung / Weiterbildung an verschiedenen Lernorten. Der Erwerb von Veränderungskompetenz kann schließlich auch dadurch gefördert werden, in denen die Mitarbeiter mit wechselnden situativen Anforderungen sowie mit neuen Rollen konfrontiert werden und in denen sie eigenverantwortlich und selbstgesteuert lernen und arbeiten müssen, z.B. im Rahmen von Projekten.
Einige beispielhafte Erfahrungsräume in der Aus- und Weiterbildung:
Erfahrungsräume
Außerhalb des Unternehmens:
- Einsatz in Fremdfirmen im In- und Ausland
- Verbund-Weiterbildung bzw. Netzwerkbildung
Innerhalb des Unternehmens:
- Organisatorische Orientierung
- Abteilungsdurchlauf bzw. Teambildung
- Weiterbildung an verschiedenen Lernorten
- Virtuelles Lernen in der Weiterbildung
- Didaktische Orientierung
- Projektarbeit in der Weiterbildung
- Lerninseln
- Kompetenzorientierte Seminare
- Job Rotation
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